Die Edelkastanie ist Baum des Jahres 2018
Castanea sativa
So einen Baum haben wir auch im Garten stehen. Für Norddeutschland ist er nicht typisch, aber er macht sich ganz gut. Kennengelernt habe ich die Edelkastanie auf der Wanderschaft im Tessin. Dort gibt es riesige Wälder, die zur Erntezeit die Gegend mit Maronen überschwemmen. Lecker!
Heimisch ist der Baum in den Mittelmeerländern und die Römer haben ihn über die Alpen gebracht. Aber auch in Nordindien, Japan und im östlichen Nordamerika ist er zu finden. Er wird bis zu 30m hoch – da hat meiner noch einiges vor sich. Das sieht man auch an der Rinde des Stammes.
Mein relativ junges Exemplar hat eine glatte, silbergraue Rinde. Erst ältere Stämme werden dunkel bräunlich-grau und sind mit einem Netzwerk von Leisten und Furchen überzogen
Wachsen und gedeihen
Wenn mein Gartenbaum schon Baum des Jahres ist, möchte ich ihn einmal das ganze Jahr über aufmerksam beobachten.
Die Witterung in Norddeutschland verändert sicher die durchschnittlichen Entwicklungs-zeitpunkte. Am 11. April zeigen sich nach einigen Sonnentagen mit bereits frühsommerlichen Temperaturen die ersten Knospen.
Ansonsten wirkt der Baum noch recht unbeteiligt. Wahrscheinlich will er auf Nummer sicher gehen und nicht zu früh loslegen. In seiner Nachbarschaft gibt es schon Bäume mit mehr frischem Grün, aber auch welche, die noch gar nicht aus der Winterruhe aufgetaucht sind.
Meine Edelkastanie lässt noch den vollen Durchblick zu. Der blaue Himmel lenkt von den Knospen ab. Um sie zu erkennen, muss man schon genau hinsehen.
Rund um die Kastanie blüht und grünt es. Mir scheint, meine Edelkastanie hält sich sehr vornehm zurück. Sie gehört wohl zu den Bäumen, die mehr und längere warme Tage für den Start braucht.
Am 16. April fühlen einige wenige Blätter ein bischen vor, so, als würden wir unseren Zeh in´s kalte Wasser stecken um die Temperatur zu testen.
Ein Tag später sieht es nicht groß anders aus: Während die Rosskastanie in Nachbars Garten bereits Handteller große Blattwedel zeigt, lässt die Krone meiner Edelkastanie weiter den Blick durch.
Hurra!!!! Es regt sich was. Die Blätter entfalten sich mit frischem Grün!
Ich glaube jetzt gibt der Baum so richtig Gas, um die anderen Pflanzen wieder einzuholen. Die letzten Tage waren richtig warm und sonnig. Die Nächte allerdings noch richtig kühl. Es ist der 21. April.
Jetzt habe ich das Gefühl, beim Wachsen zusehen zu können. Grün, Grün und noch mehr Grün.
Tatsächlich fangen alle Edelkastanien erst spät an auszutreiben. Damit fallen die Blüten sehr wahrscheinlich keinen Frösten zum Opfer. Da ging die Evolution auf Nummer sicher, dafür haben die Früchte später eventuell weniger Sonnentage zur Verfügung um zu reifen.
Der Mai macht´s! Warme Tage, viel Sonne und die Edelkastanie schlägt aus.
Trotz der vollen Begrünung und der ordentlich großen Blätter, kann man immer noch durch die Krone hindurch sehen.
Die Blüte der Edelkastanie
Das bleibt aber wahrscheinlich auch so. Die Blätter werden noch größer, aber es werden nicht unbedingt mehr. Dafür zeigen sich die Blütenansätze: Aus den Blätterbüscheln schieben sich stengelähnliche Blüten. (09.05.18)
Auch Ende Mai sind die Blüten noch nicht aufgegangen. Die Blütenwedel sind stärker und länger und die Blätter größer geworden.
07. Juni: Ich kann den Baum riechen. Die Blüten öffnen sich und verströmen einen stärkeartigen Geruch.
Während sich auf der Schattenseite des Baumes erste Blüten entfalten, sind die Blütenstände auf der Sonnenseite bereits viel weiter. Hier sind viele Blüten aufgegangen und bilden um den ursprünglichen Stengel ein dichtes Gewuschel.
Befruchtung der Blüten
Mitte Juni leuchtet der Garten fast. Nicht nur der durchdringende Geruch, der überall in die Nase fährt, erinnert ständig an die Kastanie. Auch die leuchtend weißen Kätzchen, die den Baum über und über bedecken ziehen die Blicke immer wieder an.
Jetzt sind die Blütenstengel – die Kätzchen – voll aufgegangen. Die Bienen und Hummeln haben ordentlich zu tun.
Obwohl die Edelkastanie eine einhäusige Pflanze ist, sich also beide Geschlechter auf einer Pflanze befinden, kann sie sich nicht selbst befruchten. Sie befindet sich in einem evolutionären Übergangsstadium zur Zweihäusigkeit. Die langen, weißen Stengel sind die männlichen Kätzchen. Unten rechts im Bild, am Ansatz der kahlen, kurzen Stengel, sind die weiblichen Blüten zu sehen. Sie sind von einem schuppig beblätterten Fruchtbecher umschlossen. Zu sehen sind nur die weißen Narben.
Also Befruchtung durch den Wind?
Der Baum hat fast alle Kätzchen fallen lassen. Der Boden ist bedeckt davon und die umliegenden Büsche und Sträucher sehen aus wie mit Lametta behangen. Neben den weiblichen Blüten stehen jetzt einige Kätzchen, die sich erst deutlich nach dem ersten Schwung entwickelt haben. Sie sind wesentlich kürzer, stehen aber stabil an den Astenden, während die langen Ruten längst vertrocknen.
Ende Juni sind nur noch kurze Kätzchen neben den weiblichen Blüten unauffällig am Baum.
Die Früchte entstehen
Drei Wochen später ist das Ergebnis zu sehen: Aus den Blüten sind stachelige Kugeln geworden. Die Kätzchen sind verdorrt.
Große Hitze
Bei großer Hitze, in diesem Sommer häufig und lang anhaltend, klappen die äußeren Blätter der Krone nach hinten. So treffen weniger Sonnenstrahlen direkt auf die Blattfläche. Die unteren und weiter innen gelegenen, also nicht direkt besonnten Blätter, behalten ihre normale Position.
Die Hitze wird meiner Edelkastanie gefallen. Schließlich ist es südlich der Alpen, wo sie ursprünglich her kommt, auch heißer und länger Sommer als bei uns im Norden. Allerdings habe ich ganz im Norden von Dänemark, an der Spitze von Jütland, ebenfalls Edelkastanien entdeckt. Sie wurden dort angepflanzt, um heraus zu finden, ob sie auf kargen Sandböden gedeihen. Die kurzen Sommer haben den Bäumen dort nicht geschadet. Der Boden war voll mit herabgefallenen Kätzchen. Ob sich Früchte entwickeln können kann ich nicht sagen.
Die Wurzeln
Wie sich die lange Trockenheit auf den Baum auswirken wird bleibt abzuwarten. In der Wesermarsch liegt das Grundwasser nicht sehr tief. Der Baum erreicht es mit seiner Pfahlwurzel. So verliert er auch nur wenige Blätter, im Gegensatz zu den Buchen im nahen Wald (der aber höher liegt).
Das Holz und die Gerbsäure
Das Holz der Edelkastanie hat sogar mehr Gerbsäure als die Eiche. Früher wurde aus dem Holz Tanninextrakt zum Gerben von Leder gewonnen. Für Weinfässer ist es zuviel, aber bei der Herstellung von Aceto balsamico tragen Fässer aus Kastanienholz zur Geschmacksprägung bei: eines der fünf Fermentationsfässer (das mittlere) liefert eine zarte Schärfe.
Das Holz hat einen schmalen, fast weißen Splint. Der hellbraune Kern dunkelt stark nach. Farbe und Struktur ähneln der Eiche, jedoch fehlen die dort so markantenen breiten Markstrahlen. Das Kastanienholz hat also keine Spiegel.
Es lässt sich sehr gut bearbeiten und auch biegen.
Die Ernte
Seit Mitte September fallen die Maronen vom Baum. Ein erster Herbststurm hat sie reichlich runtergeschüttelt, aber ein Blick nach oben zeigt, dass die Kronenaussenseite immer noch voll hängt. Die meisten gefallenen Früchte sind noch geschlossen, und die Kastanien unterentwickelt – also nicht reif.
Aber die ersten 20 Früchte werden heute abend geröstet.
Anfang Oktober wird jeden Tag geerntet. In öffentlichen Parkanlagen sehe ich Kinder mit Stöcken nach den noch am Baum hängenden Früchten werfen, damit die reifen Maronen herunterfallen. In unserem Garten ist es einfacher: Jeden Tag liegen bis zu 50 Maronen unter der Krone und man muss sich nur bücken. Die eigentliche Arbeit beginnt mit der Verarbeitung. Relativ schnell werden die Früchte trocken, und sie schmecken frisch einfach am besten. Wir schneiden sie mit einem Cuttermesser kreuzweise ein und rösten sie in der Pfanne oder im Ofen, bis sich die Schale lösen lässt und das Fruchtfleisch weich ist. LECKER!
Mitte Oktober ist die Ernte zuende: Ein ordentlicher 10l-Eimer ist voll geworden.
Ende November sind fast alle Blätter runter. Sie werden braun und segeln davon. Damit warten Sie allerdings länger als die Blätter der meisten anderen Bäume. Die Rosskastanie nebenan ist schon lange kahl.